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Thema: Chancengleichheit bei der gesellschaftlichen Teilhabe und an der
beruflichen Integration blinder und sehbehinderter Menschen im Land Brandenburg
In der Zeit vom 07. bis 15. Oktober 2007 fand bundesweit die
"Woche des Sehens"
statt. "Blindheit verhüten, Blindheit verstehen", so das diesjährige Motto.
Der 15. Oktober ist traditionsgemäß der Tag des weißen Stockes. Der
Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg e. V.
(BSVB)
nutzt die Kampagne, die in diesem Jahr neben vielen Partnern auch von der
Agentur für Arbeit
unterstützt wurde, um auf Probleme und Bedürfnisse blinder und sehbehinderter
Menschen aufmerksam zu machen.
- Wie steht es mit der Chancengleichheit im Rahmen der gesellschaftlichen Teilhabe
und beruflichen Integration blinder und sehbehinderter Menschen im
Land Brandenburg?
- Sind die Regelungen im Sozialgesetzbuch Nr. IX
(SGB IX)
mehr Wunschdenken oder besteht
ein Rechtsanspruch?
- Gibt es für den Integrationsfachdienst für blinde und sehbehinderte
Menschen tatsächlich seit 15 Jahren im Land Brandenburg einen
gleichbleibenden hohen Bedarf?
- Ist das persönliche Budget wirklich für alle behinderten Menschen
eine großartige Lösung?
- War die Gründung des ADBV vor 50 Jahren sinnvoll?
- Was kann ein Laserstrahl bei Augenoperationen bewirken?
- Kann man durch Implantate wieder sehen?
- Welche Voraussetzungen benötigen blinde und sehbehinderte Menschen
für eine erfolgreiche Schul- und Berufsausbildung?
- Welches Wissen benötigen ehrenamtliche Mitarbeiter der
Blindenselbsthilfeorganisation, um sachkundig und fachspezifisch beraten zu
können?
Das wissenschaftliche Symposium des
Blinden-und-Sehbehinderten-Verbandes Brandenburg e. V. (BSVB), das am 12. und
13. Oktober 2007 mit 73 Teilnehmern im
Best Western Parkhotel Branitz
in
Cottbus
stattfand, unternahm den Versuch, diese Fragen zu beantworten.
Zu Beginn der Veranstaltung wurde die Ehrenmedaille des BSVB an sehende Menschen vergeben,
die besondere Leistungen für blinde und sehbehinderte Menschen vollbracht haben.
Dazu gehören:
Gerda Steinberg begleitet blinde Menschen zu Veranstaltungen und hilft der
Bezirksgruppe Neuruppin, wann immer und wo sie kann,
Hans-Joachim Schröpfer organisiert seit mehr als 35 Jahren gemeinsam mit
Künstlern des Staatstheaters Cottbus Kulturprogramme für den BSVB,
Eckhard Hoika lädt blinde und sehbehinderte Menschen zu Tandemwochenenden
in die Lausitz ein und
Martin Wille hält seine schützende Hand über die
Brandenburgische Schule für Blinde und sehbehinderte
in
Königs Wusterhausen
und ist an der Arbeit des BSVB sehr interessiert.
Die Veranstaltung wurde mit einem Podiumsgespräch eröffnet.
Regina Haar, Leiterin des Integrationsfachdienstes für blinde und
sehbehinderte berufstätige Menschen im Land Brandenburg,
Jürgen Dusel, Leiter des
Integrationsamtes,
Olaf Bookhold, Heimleiter im
BWS
Behindertenwerk in Spremberg und
Peter Henseler, Geschäftsführer des
Blinden- und Sehbehindertenverbandes Nordrhein,
beantworteten die Fragen des Moderators Joachim Haar. Was ist das
"Persönliche Budget", auf das es ab 01.01.2008 nach SGB XII einen
Rechtsanspruch gibt? Jeder kann dann sein eigener Chef sein und selbst
darüber bestimmen, wen er mit Dienstleistungen für sich beauftragt,
vorausgesetzt, die- oder derjenige ist dazu in der Lage, auf diese Weise ein
selbstbestimmtes Leben zu führen. Leider bringt die Gesundheitsreform
weitere Einschnitte bei der Versorgung mit Hilfsmitteln.
Künftig werden Krankenkassen nur noch einen Festbetrag zur Verfügung
stellen. Den Rest muss der Antragsteller selbst aufbringen. Es musste auch
einmal klargestellt werden, dass in Heimen nicht nur Kaffeetrinken und Kinobesuche
organisiert werden.
Hier wird im Allgemeinen eine schwere und verantwortungsvolle Arbeit für
die Menschen geleistet, die ohne Hilfe den Alltag nicht allein meistern
können.
Jürgen Dusel, Leiter des Integrationsamtes, schilderte die historische Entwicklung
der Versorgung mit Hilfsmitteln. Der Paradigmenwechsel, eingeleitet durch das
Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und durch das Sozialgesetzbuch Nr. IX,
soll behinderte Menschen für ein selbstbestimmtes Leben befähigen.
Damit steht nicht mehr wie früher die Fürsorge im Mittelpunkt des
Handelns. Das SGB IX habe viele Erwartungen bei behinderten Menschen geweckt,
die bisher nicht erfüllt wurden. Den gesellschaftlichen Organisationen, so
J. Dusel, käme gerade hier eine besondere Bedeutung zu. Sie legen ohne Unterlass
den Finger in die wunden und offenen Stellen. Sie mahnen und fordern. Das finde
er berechtigt.
Die Stadtverwaltung Cottbus hatte im Juni 2007 einen Wettbewerb für einen
neuen Internetauftritt ausgeschrieben. Die Barrierefreiheit wurde mit blinden und
sehbehinderten Nutzern geprüft. In einer Präsentation sprachen Thomas Groß,
Gabriele Bogacz und Cornell Binder über das Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem
BSVB.
Die Augenärztin Dr. Heike Petersen kommt eigentlich aus Meißen. Dicht an
der Grenze zu Deutschland übernahm sie vor zwei Jahren eine Augenklinik in
der Schweiz.
In einem höchst interessanten Vortrag schilderte sie die Anwendung und
Wirkungsweise des Laserstrahls bei Augenoperationen. Sie erläuterte das
Tübinger Projekt, Menschen durch Implantate wieder ein Sehen zu ermöglichen.
Der Sehverlust beim grauen Star kann in den meisten Fällen durch den Einsatz
künstlicher Linsen in das Auge weitgehend ausgeglichen werden. Ihre
Ausführungen wurden durch Bilder an der Leinwand ergänzt, die sie
für die vorwiegend blinden Zuhörer erläuterte. Nach diesem Vortrag
war Dr. Petersen von Interessenten dicht umlagert.
Der erste Tag des Symposiums wurde mit Gesprächen in zwei Arbeitsgruppen
beendet.
Die Anforderungen an die Ausbildung und an Berufe standen im Mittelpunkt der AG 1.
Die "Politischen Forderungen" des DBSV zu den Problemen der Arbeit stießen
auf weitgehendes Unverständnis. Wenn davon die Rede ist, dass es in den
Bundesländern keine kompetenten Ansprechpartner gibt, ist der DBSV schlecht
oder wohl gar nicht informiert. In vier Bundesländern gibt es
Integrationsfachdienste für blinde und sehbehinderte Menschen.
Die AG 2 befasste sich mit Fragen, die in der Beratung des BSVB vor Ort in
den Bezirksgruppen eine wichtige Rolle spielen.
Anne Neigenfind, Rehabilitationslehrerin im Behindertenwerk in Spremberg (BWS) erläuterte die
Bedingungen für ein Orientierungs- und Mobilitätstraining.
Günter Jordan, Filialdirektor der Hamburg-Mannheimer Versicherung AG,
sprach über die Vorteile einer Organisationsgruppenversicherung, bei der
keine Gesundheitsfragen gestellt werden.
Diskutiert wurden weiterhin die Umstellung der Informationen 2009-2010
von Audiokassette auf Daisy-CD. Die Abspielgeräte dafür sind
gegenwärtig viel zu teuer.
In den Bezirksgruppen werden Multiplikatoren gesucht, um die Mitglieder
in die Daisy-Technik einzuweisen.
Mit der 15-jährigen Entwicklung und Tätigkeit des Integrationsfachdienstes /
Berufsbegleitung für blinde und sehbehinderte Menschen im Land Brandenburg
befasste sich Regina Haar.
Der Bedarf an Beratung und Unterstützung hat von 1992 bis heute nicht
nachgelassen. Im Jahr 2006 wurden 113 Klienten betreut.
Der Integrationsfachdienst für blinde und sehbehinderte Menschen ist
landesweit tätig. Ganz anders, so schildert Peter Henseler, vollzog sich
die Entwicklung des IFD in Nordrhein. Dort kümmern sich immerhin 13
Mitarbeiter um die Belange sehbehinderter berufstätiger Menschen. Unser
Verband vertraut der Zusage des Leiters des Integrationsamtes, dass der IFD
für blinde und sehbehinderte im Land Brandenburg nicht zur Disposition steht.
In Anmerkungen aus eigenem Erleben schilderte Dr. Gerhard Polzin einige Ergebnisse
der Tätigkeit des Allgemeinen Deutschen Blindenverbandes, der im Mai 1957,
also vor 50 Jahren, in Halle gegründet wurde. Am 11. November 1990 fand in
Cottbus der Zusammenschluss beider deutschen Blindenverbände seinen Abschluss.
In einem Brief wenden sich die Teilnehmer des Symposiums an die Abgeordneten des
brandenburger Landtages
und an die
Landesregierung.
Für Chancengleichheit und für eine echte Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung muss mehr getan
werden als bisher. So wird verlangt,
die Konvention der Vereinten Nationen zu den Rechten behinderter Menschen zu
ratifizieren, das Landesbehinderten-gleichstellungsgesetz fortzuschreiben, damit
es nicht nur für die Landesregierung gilt, sondern dort wirkt, wo
behinderte Menschen leben.
Wir verlangen eine Nachbesserung der Sonderpädagogikverordnung. Der
Unterricht zum Erlernen der Blindenschrift sowie Orientierung und Mobilität
müssen an einer Blindenschule Pflichtaufgaben sein und nicht davon
abhängen, ob dafür Personal vorhanden ist oder nicht.
Wir fordern, dass die Brandenburgische Schule für Blinde und Sehbehinderte,
wie anderswo üblich, unter Landeshoheit gestellt wird. Ein Landkreis ist
damit überfordert.
Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie sich in einem Bericht mit der
Situation der Menschen mit Behinderungen befasst und auseinandersetzt.
Wir fordern Landtag und Landesregierung auf, ihren Einfluss geltend zu machen,
dass die Krankenkassen ihrer gesetzlichen Pflicht zur Förderung der
Selbsthilfeverbände nach SGB V § 20 c nachkommen. Eine Richtlinie, die
bereits im Entwurf vorliegt, sollte umgehend beschlossen werden.
Das Verkehrsministerium wird aufgefordert, eine Richtlinie zurückzuziehen,
die auf Straßen nur noch eine einzige Verkehrsfläche vorsieht.
Dadurch könnten blinde Menschen nicht mehr ohne fremde Hilfe ihre Wohnung
verlassen. Die Idee von "Shared Space" schadet der Mobilität blinder und
sehbehinderter Menschen.
Zieht man eine Bilanz des wissenschaftlichen Symposiums, so ist anzumerken, dass
blinde und sehbehinderte Menschen auch im Land Brandenburg nicht von einer
Chancengleichheit sprechen können. Ein geringeres Blindengeld als in den
anderen 14 Bundesländern mindert die finanziellen Möglichkeiten einer
aktiven gesellschaftlichen Teilhabe. Es erschwert den Kauf von Blindenhilfsmitteln
für den Alltag.
Im Gegensatz zu Brandenburg gibt es in vier Bundesländern einen
Nachteilsausgleich für hochgradig sehbehinderte Menschen.
Mehr als 70 % der blinden Menschen im arbeitsfähigen Alter sind arbeitslos.
Nur knapp 4 % blinder und sehbehinderter Akademiker haben eine Arbeit. Die
Agentur für Arbeit kennt die Anzahl arbeitsloser blinder und sehbehinderter
Menschen nicht. Alle sind unter dem Sammelbegriff "Behindert" erfasst. Die geringe
Anzahl von möglichen Berufen für blinde und sehbehinderte Menschen
hat sich in den letzten Jahren nur unwesentlich verändert. Neue
Einsatzmöglichkeiten werden durch den Wegfall herkömmlicher Berufe
negativ beeinflusst.
Das wissenschaftliche Symposium bot als Rahmenprogramm eine interessante
Ausstellung der Firmen: Tieman, Schweizer Optik, Baum Retec AG, Ingo Andraschko,
Grenzenlos gGmbH, Hamburg-Mannheimer Versicherung OGV und multi-tech gGmbH
zeigten ihre Produkte.
Bei einem abendlichen geselligen Beisammensein spielten die "Saspower Dixieland
Stompers".
Die Finanzierung des Symposiums erfolgte durch eine Teilnahmegebühr und
durch Fördermittel der Krankenkassen des Landes Brandenburg sowie durch
Eigenmittel des BSVB.
gez. Bodo Rinas | Joachim Haar |
Stellv. Vorsitzender | Geschäftsführer |
Cottbus, den 25. Oktober 2007
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