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Abschlussbericht über das Wissenschaftliche Symposium vom 12. - 13.10.2007 in Cottbus

Thema: Chancengleichheit bei der gesellschaftlichen Teilhabe und an der beruflichen Integration blinder und sehbehinderter Menschen im Land Brandenburg

In der Zeit vom 07. bis 15. Oktober 2007 fand bundesweit die "Woche des Sehens" statt. "Blindheit verhüten, Blindheit verstehen", so das diesjährige Motto.

Der 15. Oktober ist traditionsgemäß der Tag des weißen Stockes. Der Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg e. V. (BSVB) nutzt die Kampagne, die in diesem Jahr neben vielen Partnern auch von der Agentur für Arbeit unterstützt wurde, um auf Probleme und Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen aufmerksam zu machen.


Das wissenschaftliche Symposium des Blinden-und-Sehbehinderten-Verbandes Brandenburg e. V. (BSVB), das am 12. und 13. Oktober 2007 mit 73 Teilnehmern im Best Western Parkhotel Branitz in Cottbus stattfand, unternahm den Versuch, diese Fragen zu beantworten.

Zu Beginn der Veranstaltung wurde die Ehrenmedaille des BSVB an sehende Menschen vergeben, die besondere Leistungen für blinde und sehbehinderte Menschen vollbracht haben.
Dazu gehören:

Gerda Steinberg begleitet blinde Menschen zu Veranstaltungen und hilft der Bezirksgruppe Neuruppin, wann immer und wo sie kann,
Hans-Joachim Schröpfer organisiert seit mehr als 35 Jahren gemeinsam mit Künstlern des Staatstheaters Cottbus Kulturprogramme für den BSVB,
Eckhard Hoika lädt blinde und sehbehinderte Menschen zu Tandemwochenenden in die Lausitz ein und
Martin Wille hält seine schützende Hand über die Brandenburgische Schule für Blinde und sehbehinderte in Königs Wusterhausen und ist an der Arbeit des BSVB sehr interessiert.

Die Veranstaltung wurde mit einem Podiumsgespräch eröffnet.
  • Regina Haar, Leiterin des Integrationsfachdienstes für blinde und sehbehinderte berufstätige Menschen im Land Brandenburg,
  • Jürgen Dusel, Leiter des Integrationsamtes,
  • Olaf Bookhold, Heimleiter im BWS Behindertenwerk in Spremberg und
  • Peter Henseler, Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Nordrhein,
  • beantworteten die Fragen des Moderators Joachim Haar. Was ist das "Persönliche Budget", auf das es ab 01.01.2008 nach SGB XII einen Rechtsanspruch gibt? Jeder kann dann sein eigener Chef sein und selbst darüber bestimmen, wen er mit Dienstleistungen für sich beauftragt, vorausgesetzt, die- oder derjenige ist dazu in der Lage, auf diese Weise ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Leider bringt die Gesundheitsreform weitere Einschnitte bei der Versorgung mit Hilfsmitteln.
    Künftig werden Krankenkassen nur noch einen Festbetrag zur Verfügung stellen. Den Rest muss der Antragsteller selbst aufbringen. Es musste auch einmal klargestellt werden, dass in Heimen nicht nur Kaffeetrinken und Kinobesuche organisiert werden.
    Hier wird im Allgemeinen eine schwere und verantwortungsvolle Arbeit für die Menschen geleistet, die ohne Hilfe den Alltag nicht allein meistern können.

    Jürgen Dusel, Leiter des Integrationsamtes, schilderte die historische Entwicklung der Versorgung mit Hilfsmitteln. Der Paradigmenwechsel, eingeleitet durch das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und durch das Sozialgesetzbuch Nr. IX, soll behinderte Menschen für ein selbstbestimmtes Leben befähigen. Damit steht nicht mehr wie früher die Fürsorge im Mittelpunkt des Handelns. Das SGB IX habe viele Erwartungen bei behinderten Menschen geweckt, die bisher nicht erfüllt wurden. Den gesellschaftlichen Organisationen, so J. Dusel, käme gerade hier eine besondere Bedeutung zu. Sie legen ohne Unterlass den Finger in die wunden und offenen Stellen. Sie mahnen und fordern. Das finde er berechtigt.

    Die Stadtverwaltung Cottbus hatte im Juni 2007 einen Wettbewerb für einen neuen Internetauftritt ausgeschrieben. Die Barrierefreiheit wurde mit blinden und sehbehinderten Nutzern geprüft. In einer Präsentation sprachen Thomas Groß, Gabriele Bogacz und Cornell Binder über das Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem BSVB.

    Die Augenärztin Dr. Heike Petersen kommt eigentlich aus Meißen. Dicht an der Grenze zu Deutschland übernahm sie vor zwei Jahren eine Augenklinik in der Schweiz.
    In einem höchst interessanten Vortrag schilderte sie die Anwendung und Wirkungsweise des Laserstrahls bei Augenoperationen. Sie erläuterte das Tübinger Projekt, Menschen durch Implantate wieder ein Sehen zu ermöglichen. Der Sehverlust beim grauen Star kann in den meisten Fällen durch den Einsatz künstlicher Linsen in das Auge weitgehend ausgeglichen werden. Ihre Ausführungen wurden durch Bilder an der Leinwand ergänzt, die sie für die vorwiegend blinden Zuhörer erläuterte. Nach diesem Vortrag war Dr. Petersen von Interessenten dicht umlagert.

    Der erste Tag des Symposiums wurde mit Gesprächen in zwei Arbeitsgruppen beendet.
    Die Anforderungen an die Ausbildung und an Berufe standen im Mittelpunkt der AG 1.
    Die "Politischen Forderungen" des DBSV zu den Problemen der Arbeit stießen auf weitgehendes Unverständnis. Wenn davon die Rede ist, dass es in den Bundesländern keine kompetenten Ansprechpartner gibt, ist der DBSV schlecht oder wohl gar nicht informiert. In vier Bundesländern gibt es Integrationsfachdienste für blinde und sehbehinderte Menschen.

    Die AG 2 befasste sich mit Fragen, die in der Beratung des BSVB vor Ort in den Bezirksgruppen eine wichtige Rolle spielen.

    Anne Neigenfind, Rehabilitationslehrerin im Behindertenwerk in Spremberg (BWS) erläuterte die Bedingungen für ein Orientierungs- und Mobilitätstraining.
    Günter Jordan, Filialdirektor der Hamburg-Mannheimer Versicherung AG, sprach über die Vorteile einer Organisationsgruppenversicherung, bei der keine Gesundheitsfragen gestellt werden.
    Diskutiert wurden weiterhin die Umstellung der Informationen 2009-2010 von Audiokassette auf Daisy-CD. Die Abspielgeräte dafür sind gegenwärtig viel zu teuer.
    In den Bezirksgruppen werden Multiplikatoren gesucht, um die Mitglieder in die Daisy-Technik einzuweisen.

    Mit der 15-jährigen Entwicklung und Tätigkeit des Integrationsfachdienstes / Berufsbegleitung für blinde und sehbehinderte Menschen im Land Brandenburg befasste sich Regina Haar.
    Der Bedarf an Beratung und Unterstützung hat von 1992 bis heute nicht nachgelassen. Im Jahr 2006 wurden 113 Klienten betreut.
    Der Integrationsfachdienst für blinde und sehbehinderte Menschen ist landesweit tätig. Ganz anders, so schildert Peter Henseler, vollzog sich die Entwicklung des IFD in Nordrhein. Dort kümmern sich immerhin 13 Mitarbeiter um die Belange sehbehinderter berufstätiger Menschen. Unser Verband vertraut der Zusage des Leiters des Integrationsamtes, dass der IFD für blinde und sehbehinderte im Land Brandenburg nicht zur Disposition steht.

    In Anmerkungen aus eigenem Erleben schilderte Dr. Gerhard Polzin einige Ergebnisse der Tätigkeit des Allgemeinen Deutschen Blindenverbandes, der im Mai 1957, also vor 50 Jahren, in Halle gegründet wurde. Am 11. November 1990 fand in Cottbus der Zusammenschluss beider deutschen Blindenverbände seinen Abschluss.

    In einem Brief wenden sich die Teilnehmer des Symposiums an die Abgeordneten des brandenburger Landtages und an die Landesregierung. Für Chancengleichheit und für eine echte Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung muss mehr getan werden als bisher. So wird verlangt,
    die Konvention der Vereinten Nationen zu den Rechten behinderter Menschen zu ratifizieren, das Landesbehinderten-gleichstellungsgesetz fortzuschreiben, damit es nicht nur für die Landesregierung gilt, sondern dort wirkt, wo behinderte Menschen leben.
    Wir verlangen eine Nachbesserung der Sonderpädagogikverordnung. Der Unterricht zum Erlernen der Blindenschrift sowie Orientierung und Mobilität müssen an einer Blindenschule Pflichtaufgaben sein und nicht davon abhängen, ob dafür Personal vorhanden ist oder nicht.
    Wir fordern, dass die Brandenburgische Schule für Blinde und Sehbehinderte, wie anderswo üblich, unter Landeshoheit gestellt wird. Ein Landkreis ist damit überfordert.
    Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie sich in einem Bericht mit der Situation der Menschen mit Behinderungen befasst und auseinandersetzt.
    Wir fordern Landtag und Landesregierung auf, ihren Einfluss geltend zu machen, dass die Krankenkassen ihrer gesetzlichen Pflicht zur Förderung der Selbsthilfeverbände nach SGB V § 20 c nachkommen. Eine Richtlinie, die bereits im Entwurf vorliegt, sollte umgehend beschlossen werden.
    Das Verkehrsministerium wird aufgefordert, eine Richtlinie zurückzuziehen, die auf Straßen nur noch eine einzige Verkehrsfläche vorsieht. Dadurch könnten blinde Menschen nicht mehr ohne fremde Hilfe ihre Wohnung verlassen. Die Idee von "Shared Space" schadet der Mobilität blinder und sehbehinderter Menschen.

    Zieht man eine Bilanz des wissenschaftlichen Symposiums, so ist anzumerken, dass blinde und sehbehinderte Menschen auch im Land Brandenburg nicht von einer Chancengleichheit sprechen können. Ein geringeres Blindengeld als in den anderen 14 Bundesländern mindert die finanziellen Möglichkeiten einer aktiven gesellschaftlichen Teilhabe. Es erschwert den Kauf von Blindenhilfsmitteln für den Alltag.
    Im Gegensatz zu Brandenburg gibt es in vier Bundesländern einen Nachteilsausgleich für hochgradig sehbehinderte Menschen.
    Mehr als 70 % der blinden Menschen im arbeitsfähigen Alter sind arbeitslos. Nur knapp 4 % blinder und sehbehinderter Akademiker haben eine Arbeit. Die Agentur für Arbeit kennt die Anzahl arbeitsloser blinder und sehbehinderter Menschen nicht. Alle sind unter dem Sammelbegriff "Behindert" erfasst. Die geringe Anzahl von möglichen Berufen für blinde und sehbehinderte Menschen hat sich in den letzten Jahren nur unwesentlich verändert. Neue Einsatzmöglichkeiten werden durch den Wegfall herkömmlicher Berufe negativ beeinflusst.

    Das wissenschaftliche Symposium bot als Rahmenprogramm eine interessante Ausstellung der Firmen: Tieman, Schweizer Optik, Baum Retec AG, Ingo Andraschko, Grenzenlos gGmbH, Hamburg-Mannheimer Versicherung OGV und multi-tech gGmbH zeigten ihre Produkte.

    Bei einem abendlichen geselligen Beisammensein spielten die "Saspower Dixieland Stompers".

    Die Finanzierung des Symposiums erfolgte durch eine Teilnahmegebühr und durch Fördermittel der Krankenkassen des Landes Brandenburg sowie durch Eigenmittel des BSVB.


    gez. Bodo RinasJoachim Haar
    Stellv. VorsitzenderGeschäftsführer

    Cottbus, den 25. Oktober 2007


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